PoetrySlam zum Reformationstag von Margarete Preis
Es ist wieder mal „tea time“ im Himmel.
Gott macht es sich auf dem Sofa bequem,
und seine bessere Hälfte, Frau Sophia, die Weisheit,
serviert ihm auf dem tablet eine frische Tasse Tee-ologie.
Gott stellt seine Tasse auf eine Cloud neben dem Sofa und geht online.
„Kommunikation ist wirklich viel leichter geworden“, sagt er,
„verglichen mit diesen Steintafeln früher!“
Aber was er dann liest, versetzt ihn in Aufregung:
Jetzt ist es gecheckt:
Luther hat Twitter gehackt!
Denn am Anfang war das Wort
und das Wort war bei Gott
und – bei Gott – geistreicher
als so mancher Schiet / Tweet.
Wort-Quickies waren nichts für Luther.
Monatelang hat er die Bibel übersetzt,
Geist in Sprache gegossen,
Formulierungen genossen,
um den Sinn der Geschichten
zu verdichten,
neue Worte in deutscher Sprache
statt geistiger Brache:
„Machtwort“, „Denkzettel“, „Feuereifer“,
„Wissensdurst“ – nur so weiter!
Und dann – pling!
„Sie haben eine neue „Gute Nachricht“!
Nun konnte jeder die Bibel in seiner Sprache lesen,
und die Priester brachten die Liebe Gottes zum Klingen,
statt immer nur „Hölle, Hölle, Hölle“ zu singen.
„Dieser Luther“, unterbricht Gott seine Lektüre,
„das war ein ganz Großer!“
Sophia denkt an das kleine Playmobilmännchen,
das sie vor kurzem in der Hand hatte –
tja, Größe lässt sich nun mal nicht in Zentimetern ausdrücken…
„Noch ein wenig Tee-ologie?“ fragt sie.
Sie weiß, warum die Kirche gegen Luther war.
Bildung ist gefährlich! Wissen ist Macht!
Am Ende wird sogar selber gedacht!
Wo kämen wir hin, wenn alle Lahmen sehen
und alle Blinden gehen könnten!
Wenn die Dummheit der Kardinäle
durch bibelfeste Gemeindeglieder überholt würde?
Da entscheiden wir doch lieber selber, welche Fehler wir machen!
„Ihr rülpset nicht, ihr furzet nicht?
Ja habt ihr nicht gechattet?“
Luther war nicht faul,
schaut’ dem Volk aufs Maul.
Aber aus dem Maul kann auch nur rauskommen,
was in der Birne drin ist!
Und was in die Birne reinkam, entschied im Mittelalter die Kirche:
Klar war die Erde eine Scheibe, Maria eine Jungfrau,
Homosexualität war ein Gräuel, Selbstmord eine Sünde,
Scheinheiligkeit war heilig genug,
und die Kinder der Priester und Päpste fragten sich,
wo sie eigentlich herkamen.
Mit 12 Jahren konnte man Bischof werden!
Das Latein der Priester war schlechter als mein Englisch,
dafür funktionierte die Angst vor dem Fegefeuer umso besser.
Eine Super-Marketing-Idee, mit dieser Angst Geld zu machen,
um marode Kirchengebäude zu finanzieren.
Interessanter Ansatz, empfehlen Sie es mal Ihrem Presbyterium!
Da steht dann an den Kirchenbänken nicht „gestiftet von …“
sondern „Sie sitzen auf ihrem schlechten Gewissen!“
Oder wie wäre es mit Treuepunkten für alle, die regelmäßig spenden?
Nix sola gratia – Pay back System! Das kriegst du alles zurück!
Martin Luther würde sich im Grabe umdrehen!
Überhaupt – diese fünf Soli der Reformation
(oder sechs, wenn man den Soli Ost dazu rechnet, Luther war ja Ossi)!
Also die fünf Soli:
solus christus – sola scriptura – sola gratia – solo verbo – sola fide
(allein Christus, die Schrift, die Gnade, das Wort, der Glaube) –
finden Sie nicht auch, da fehlt was?
So was wie z.B.
Allein die Tagesordnung – was nicht draufsteht, wird nicht beschlossen!?
Allein der Küster – der hat den Schlüssel!?
Allein die Alten – die bleiben uns sonst weg!?
Lieber Martin Luther!
Das Priestertum aller Gläubigen ist eine große Herausforderung!
Wir befinden uns im postfaktischen Zeitalter.
Heißt: Hinterher sind alle schlauer.
Nach deinem Thesenanschlag ist viel passiert,
was du weder gewollt noch geahnt hast.
Aber ich stehe hier und kann – anders als vor 500 Jahren –
mitreden und mitentscheiden,
ich darf als Frau auf die Kanzel
und heiraten, wen ich liebe!
Danke, danke, danke!
Und nein, ich habe nichts gegen Katholiken!!
Aber – um es mit deinen etwas derben Worten zu sagen:
„Aus einem verklemmten Arsch kommt kein fröhlicher Furz!“
Soll heißen: Entklemmt euch!
Macht Schluss mit diesem Konfessionsgedöns
und hört auf, über Sachen zu streiten,
die wir hier unten längst anders machen!
Ecclesia semper reformanda!
Eine Kirche, die sich nicht stets reformiert,
ist eine Mogelpackung,
denn sie kann niemandem das Heil versprechen,
denn das Heil hat ein Verfallsdatum,
wenn es an die Macht gebunden ist und nicht an die Liebe!
Auf dem Sofa starrt Gott gebannt auf sein Tablet.
„Bildung“, sagt Gott, „Bildung, das ist es!“
„Wissen hat noch nie geschadet“, sagt Sophia,
„Weisheit besteht allerdings darin,
zu unterscheiden, was richtig und falsch ist.
Bei facebook zum Beispiel…“
„Ah, gut, dass du mich erinnerst“, sagt Gott,
„mein Account ist veraltet. Ich brauche ein neues Profil
und wieder mehr Follower….“
Das facebook des Mittelalters hieß übrigens Lukas Cranach.
Der hat alles gemalt, was bei drei nicht auf den Bäumen war.
Bildung wurde da über Bilder vermittelt.
Cranachs Erfolgsstrategie hieß „paint & copy“.
Seine Bilder wurden vielfach kopiert,
so entstanden u.a. auch die vielen Lutherportraits:
Der dicke Luther, der dünne Luther, der junge Luther, der alte Luther!
Facebook eben!
„Respekt!“ sagt Gott,
„auch wenn ich nicht mit allem von diesem Cranach einverstanden bin.
Er hat mich mal in so eine Cloud…äh…Wolke reingemalt!
Das ging zu weit!“
„Sei nicht so streng“, sagt Sophia,
„es war doch nur Papier…!“
Vergnügt, erlöst und befreit beschließt Gott,
Luther eine What’sApp zu schicken.
Und mit seinem für die kleinen Tasten viel zu dicken Finger,mit dem er einst Adam das Leben gab, tippt er:
Teufel – Scheißhaufen –
Bibelübersetzung – Daumen rauf
Priestertum aller Gläubigen – Superidee!
Gott drückt auf „Senden“,
und Sophia, die er CC gesetzt hatte, fügt noch hinzu:
Reformation 2.0 2.0 ??
Das sind über 500 Jahre – Ausrufezeichen!
Sektflasche – Feuerwerk – Geschenk – Fragezeichen?
Gott sagt: „Ich hab da so eine Idee – mal sehen, ob sie das liken…“
Und er tippt:
Brot & Wein gemeinsam – dickes Ausrufezeichen!
(und mit Blick auf Sophia): Zölibat – Daumen runter
Und lasst endlich die Mädels ran –
sonst gibt´s n i e w i e d e r Weihnachtsgeschenke!!
(MaPreis, PoetrySlam im Museum Kunstpalast 2017/ 2020)